Es ist Bewegung in die internationale Agrarökologie-Debatte gekommen. Immer mehr Menschen aus Bewegungen, Wissenschaft, Organisationen und Verbänden sowie einigen Regierungen verstehen, dass ein „Weiter-wie-bisher“ keine Option ist. Chemie- und energiebasierte Intensivierungsansätze werden zunehmend infrage gestellt. Agrarökologie ist die Zukunft! Denn es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der insbesondere in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise viel Potenzial bietet.
Aus welchen Elementen besteht Agrarökologie?
Kleinbauern und Kleinbäuerinnen aus dem globalen Süden haben das Konzept der Agrarökologie entwickelt. In Deutschland und Europa ist es noch nicht sehr bekannt. Es basiert auf ökologischen Prinzipien, dem Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität. Agrarökologische Transformationsprozesse basieren auf einem Bottom-up-Ansatz, das heißt die lokale Bevölkerung, bäuerliche Erzeuger*innen, Verarbeiter*innen und Vermarkter*innen gestalten die Veränderungen selbst. Agrarökologie basiert auf folgenden Elementen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen (aus Positionspapier „Agrarökologie stärken“):
Mehr Vielfalt über und unter der Erde
Agrarökologie integriert systematisch Biodiversität im Anbausystem und respektiert biologische Prozesse. Boden, Pflanzen und Tiere werden als Ökosystem verstanden und das Wissen darüber in
den Vordergrund gestellt. Vielfältige Fruchtfolgen und eine kontinuierliche Bodenbedeckung durch Ackerwildkräuter und Zwischenfrüchte füttern die Bodenlebewesen, ermöglichen Humusaufbau
und verhindern Bodendegradierung.
Mehr Resilienz und Anpassung an die Klimakrise
Diversifizierte Anbausysteme machen Bauern und Bäuerinnen krisensicherer gegenüber externen Schocks wie Klimakrisen oder Preisschwankungen. Agrarökologische Systeme verbessern die Wasser-speicher- beziehungsweise Wasseraufnahmefähigkeit von Böden, die Pflanzen können tiefer wurzeln, der Schädlings- und Krankheitsdruck wird verringert. Durch eine verbesserte Bodengesundheit und die Erholung ausgelaugter Böden (Förderung der Kohlenstoffbindung) oder durch einen geringeren Energie-verbrauch (Vermeidung von Treibhausgasemissionen) trägt Agrarökologie zum Klimaschutz bei. Integrier-te Tier-Pflanzen-Systeme fördern die Fruchtbarkeit des Bodens, geschlossene Nährstoffkreisläufe und die Verwendung von pflanzlichen Reststoffen (Recycling).
Selbstregulationsfähigkeit im Agrarökosystem stärken
Je mehr Biodiversität vorhanden ist, desto geringer ist das Risiko von Krankheiten und Schädlingen. Umgekehrt wirken sich Pestizide auf die biologische Vielfalt – Insekten und Pflanzen im und auf dem
Boden – negativ aus. Dies wiederum verstärkt die Abhängigkeit von externen Betriebsmitteln. Die Selbstregulierungskräfte werden durch Agrarökologie gestärkt und der Teufelskreis von Resistenzbildung und Pestizideinsatz durchbrochen.
Mehr Kontrolle über Lebensgrundlagen
Um natürliche Ressourcen und Ökosysteme zu erhalten, brauchen Bauern und Bäuerinnen, Hirt*innen, indigene Gemeinschaften und ländliche Gemeinden ein Recht auf und die Kontrolle über Land, Saatgut, Wasser, Artenvielfalt und Wissen. Kollektive Besitz- und Bewirtschaftungsformen müssen dafür aner-kannt und geschützt werden.
Bäuerliche Agri-Kultur stärken
Wenn Bauern und Bäuerinnen ihre Höfe und ihren Anbau diversifizieren und sie in lokale oder regionale Weiterverarbeitungssysteme und Vermarktungsnetzwerke eingebunden sind, können bäuerliche Betriebe erhalten, Arbeitsplätze geschaffen und regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden. Dank einer Diversifizierung der Produktion sind die Erzeuger* innen weniger anfällig für marktbezogene Risiken wie schwankende Preise, die durch den Klimawandel zunehmen.
Gesunde Ernährung und lokale Versorgung stärken
Kürzere Wege und enge Stadt-Land-Verbindungen können Bauern und Bäuerinnen mit handwerklichen Lebensmittelhersteller*innen und Verbraucherinnen stärker zusammenbringen. Kurze Transportwege verringern auch Emissionen. Märkte, welche die Arbeit der Erzeugerinnen mit gerechten Preisen honorieren und vielfältige Lebensmittel bereitstellen, befördern eine ortsnahe Versorgung mit frischen, gesunden und vielfältigen Lebensmitteln.
Weniger Abhängigkeit, mehr Autonomie
Agrarökologie erhöht die Autonomie der Erzeuger*innen. Als schwächstes Glied in der Lieferkette haben Bauern und Bäuerinnen der Marktmacht der Konzerne im derzeitigen Agrarsystem wenig entgegenzu-setzen. Agrarökologie schafft Existenzgrundlagen für bäuerliche Haushalte und trägt dazu bei, die Märkte, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt vor Ort zu stärken und auf die lokale Nachfrage zu reagieren.
Gleichberechtigung von Frauen und Männern
Ein solidarisches Miteinander von Frauen und Männern basiert auf gleichen Rechten, einem gewaltfreien Umgang miteinander und gleichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die gleichberechtigte Kontrolle über produktive Ressourcen, der gleiche Zugang zu Bildung und agrarökologischer Beratung sowie die gleichberechtigte Mitbestimmung in Haushalten, Organisationen und Politikprozessen sind untrennbar mit Agrarökologie verbunden. Negative soziale Normen und Geschlechterstereotypen gilt es zu überwinden.
Mehr Beteiligung und Mitsprache
Agrarökologie fördert Formen sozialer Organisation, die Voraussetzung für eine Mitgestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme sind. Sie schafft Anreize, sich selbst zu organisieren und in Gruppen und Netz-werken auf verschiedensten Ebenen – ob lokal oder global – kollektiv tätig zu sein. Bauernorganisationen, Verbraucherverbände und andere zivilgesellschaftliche Akteure haben die Möglichkeit, frühzeitig Programme und relevante Politiken in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Förderliche Politiken und partizipative Forschung
Um das Potenzial von Agrarökologie auszuschöpfen, ist die Unterstützung von Politikerinnen und Verwaltungen auf allen Ebenen und sind förderliche politische Rahmenbedingungen notwendig; ob für Gemeinschaftsverpflegung, für eine Infrastruktur für bäuerliche Vermarktung oder für die Unterstützung lokaler und regionaler Diversifizierung. Politikkohärenz ist hierbei eine unabdingbare Voraussetzung. Agrarökologische Forschung baut auf dem Wissen von Züchterinnen, Bauern und Bäuerinnen sowie von handwerklichen Lebensmittelhersteller*innen auf. Die Ausrichtung der Forschung wird mit ihnen gemeinsam entwickelt. In der Wirtschaftsforschung sollte ein Schwerpunkt auf die solidarische Ökonomie gelegt werden.