Alles fair oder was?

Das Wort ist in aller Munde: „fair“. Sich fair zu verhalten heißt, sich anständig, respektvoll oder angemessen zu verhalten. Das gilt auch in der Wirtschaftswelt, wo vom „fairen Wettbewerb“, „fairen Handel“ oder „fair pay“ die Rede ist. Auch der Bauernverband spricht von einer „fairen Marktposition“, der Bund der Landjugend von „fairen Marktbeziehungen“ und zivilgesellschaftliche Organisationen fordern „faire Preise“, wenn es um den Lebensmittelhandel geht. Kürzlich hat auch die EU-Kommission vorgeschlagen, „fair“ oder „gerecht“ für die Lebensmittelkette zu definieren. Das Ziel: Stabilität, Transparenz und „eine Preisgestaltung zu gewährleisten, die von den teilnehmenden Landwirtinnen und Landwirten als gerecht angesehen wird, und die die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung unterstützen “. Der Entwurf der Kommission für eine Verordnung zur Stärkung der Position der Landwirtinnen und Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette enthält auch Vorschläge für die zukünftige Ausgestaltung von Verträgen.

Was steht in der Verordnung?

Mit ihren Vorschlägen will die Kommission den Landwirt*innen einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen, ihre Verhandlungsposition gegenüber ihren Abnehmern stärken und für eine gerechtere Verteilung der Wertschöpfung entlang der Lieferkette sorgen. Um das Vertrauen der Akteure in die Lebensmittelkette wiederherzustellen, schlägt die Kommission im Wesentlichen fünf Punkte vor:

  1. einheitliche Bedingungen für die Verwendung von freiwilligen Angaben wie „fair“, „gerecht“ und „kurze Lieferkette“, entsprechende Erzeugerorganisationen anerkennen und entsprechende Initiativen in die Liste von Zielen anerkannter Branchenverbände aufnehmen. Anwendungsbeginn soll zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung sein.
  2. vor Lieferungen von einer Landwirt*in, einer Erzeugerorganisation oder einer entsprechenden Vereinigung soll ein schriftlichen Vertrag mit ihrem Abnehmer abgeschlossen werden, ausgenommen sind Genossenschaften. Die Mitgliedstaaten sollen einen Mediationsmechanismus für den Fall einer nicht-Einigung einrichten und die Registrierung schriftlicher Verträge verlangen können.
  3. schriftliche Verträge sollen bestimmte Bestandteile enthalten. Dazu zählen objektive Indikatoren, Indizes oder Berechnungsmethoden. Vorgeschlagen wird ebenso eine Revisionsklausel bei Verträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten, „insbesondere in Fällen, in denen der Preis die Produktionskosten nicht mehr deckt“.
  4. für Nachhaltigkeitskooperationen, die auch Anforderungen an die soziale Nachhaltigkeit enthalten, soll es eine kartellrechtliche Ausnahme von Artikel 101 Absatz 1 AEUV geben. Sie umfasst die wirtschaftliche Tragfähigkeit kleiner, überwiegend auf Familienarbeit beruhender Betriebe, die Unterstützung von Junglandwirt*innen oder bessere Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der Landwirtschaft oder Verarbeitung.
  5. die Vorschriften für Erzeugerorganisationen sollen vereinfacht und präzisiert werden. Voraussetzung für ihre Anerkennung ist, dass sie auf Initiative von Landwirt*innen gegründet und von ihnen kontrolliert und demokratisch geprüft werden. Im Obst- und Gemüsesektor können sie besonders gefördert werden, wenn ihr Organisationsgrad unter 10% liegt. Anerkannte Vereinigungen von Erzeugerorganisationen sollen Vertragsbedingungen im Namen ihrer Mitglieder aushandeln können – bis zu 33 % der gesamten nationalen Erzeugung.

Fair“, „gerecht“ und „kurze Lieferkette“

Die Kommission will positiverweise zukünftig regeln, dass die Angaben „fair“ oder „gerecht“ nur verwendet werden, wenn die zugrundeliegenden Anforderungen 1) stabile und transparente Handelsbeziehungen sowie 2) eine Preisgestaltung gewährleisten, die von den teilnehmenden Landwirt*innen als gerecht angesehen wird, und 3) zur Verwirklichung der UN-Nachhaltigkeitsziele beitragen, auch in einer Weise, die mit dem EU-Lieferkettengesetz im Einklang steht. Wie die Begriffe genau ausgelegt werden, sollen Durchführungsbestimmun­gen der Kommission darlegen. Dabei muss gewährleistet werden, dass der „Faire Handel“ auf keinen Fall beeinträchtigt wird.

Fair und gerecht können Handelsbeziehungen nur sein, wenn Landwirt*innen ihre Betriebs- und Mehrkosten für Umwelt- und Tierschutz über höhere Erzeugerpreise abdecken und an die Käufer*innen entlang der Wertschöpfungskette weitergeben können. Unfair wäre es beispielsweise, wenn die Einkaufspreisenicht zumindest die Kosten der Produktion beinhalten“ würden. Offensichtlich müssten hier die Vollkosten angesetzt werden. Konsequent zu Ende gedacht heißt das auch, dass die Käufer in der Lebensmittelkette eine Einkaufs- bzw. Beschaffungspolitik entwickeln und verfolgen, „mit der zu existenzsichernden Löhnen und Einkommen für ihre Lieferanten beigetragen wird und mögliche negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder die Umwelt nicht gefördert werden“.

Folgende Punkte scheinen mir essenziell für die Durchführungsbestimmungen zu sein:

  • Die Vertragskonditionen werden auf Augenhöhe und partnerschaftlich mit den Landwirt*innen vereinbart. Dies schließt auch die Abholung oder Lieferung mit ein.
  • Die Preise müssen mindestens die Produktionskosten decken einschließlich der von Landwirt*innen, Familienmitgliedern oder abhängig Beschäftigten geleisteten Arbeit. Saisonbeschäftigte sollten sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein und einen existenzsichernden Lohn erhalten.
  • Die Verträge enthalten keine Konditionen, die Landwirt*innen einseitig und unverhältnismäßig belasten und dazu führen, den Einkaufspreis unter ihre Produktionskosten zu drücken.
  • Die Verträge sollten in Schriftform erfolgen, alle Konditionen enthalten und der Kommission bzw. den Durchsetzungsbehörden der EU-Richtlinie zu unlauteren Handelspraktiken gemeldet werden, so dass sie ggf. überprüfbar sind.
  • In den Verträgen muss geregelt sein, welche konkrete Menge in welcher Qualität geliefert werden soll, welcher konkrete Preis in €/kg gezahlt wird und für welche Laufzeit die genannten Vereinbarungen gelten sollen.
  • Als Mindestkriterien sollten festgelegt werden: die Gentechnikfreiheit, ein Verzicht auf Totalherbizide, eine flächengebundene Tierhaltung, keine 24 Stunden-Anbindehaltung und die Fütterung der Tiere mit einheimischen Futtermitteln.

Anstelle der angedachten Begriffsbestimmung für die „kurze Lieferkette“ würde ich „kurze Lieferwege“ für sinnvoll erachten. Als „kurze Lieferkette“ wird häufig eine Lieferkette ohne Zwischenhändler*innen bezeichnet. „Kurze Lieferwege“ könnten hingegen im Sinne von agrarökologischen Ansätzen Treibhausgasemissionen verringern, enge Stadt-Land-Verbindungen stärken und die ortsnahe Versorgung mit frischen, gesunden und vielfältigen Lebensmitteln verbessern. Angesichts fehlender Fortschritte bei der Regionalkennzeichnung wäre ein erster Schritt, dass diejenigen, die mit „regional“ werben auch transparent machen, wie sie „regional“ definieren.

Schriftliche Verträge, die natürlichste Sache der Welt

Kaufverträge finden im täglichen Leben sowie im Geschäftsverkehr ständig Anwendung. Schriftliche Verträge bieten mehr Rechtssicherheit, weil die Vertragsbedingungen objektiv aufgezeichnet werden können. Die EU-Kommission will nun auch zum Schutz der Landwirt*innen eine Vertragspflicht vor der Lieferung einführen, die nicht nur die Urerzeugnisse, sondern auch verarbeitete Produkte erfassen soll. Dabei sollen im Vertrag der Preis, die Qualität, die Menge und die Laufzeit enthalten sein. Es werden auch Mindestbedingungen für die Preisfestsetzung festgelegt.

Was fehlt ist hingegen, dass der konkrete Preis in €/kg und bei der Rohmilchmenge die Qualität wie zum Beispiel „Weidemilch“ angegeben werden müssen. Ob die Mitgliedsstaaten auch die Angabe des Kilo- bzw. Mengenpreises vorgeben, bleibt ihnen leider selbst überlassen. Gleiches gilt für die Einführung eines Vertragsregisters, das mit einem vertretbaren Aufwand für die Landwirt*innen verbunden wäre. Ein solches Vertragsregister würde den Druck erhöhen, bessere Verträge mit Landwirt*innen abzuschließen, weil diese anhand der Kriterien überprüft werden könnten. Der Vorteil überwiegt, denn vertraglich festgelegte Preise und Mengen bestimmen ja unmittelbar das Einkommen der Landwirt*innen. In Spanien existiert bereits ein Vertragsregister, das als „Best Practice“ gelten kann.

Der Entwurf der Kommission sieht mehrere Ausnahmen von der Vertragspflicht vor. Sinnvoll erscheint mir die Freistellung, wenn „nicht mehr für den Verkauf geeignete Erzeugnisse“ abgegeben werden oder wenn die Lieferung und die Zahlung zeitgleich erfolgen. Unsicher bin ich mir hingegen bei den Ausnahmen im Fall von „kostenlosen Lieferungen“. Denkbar sind auch die geplanten Ausnahmen für Kleinst- und Kleinunternehmen, wenn sie Erstankäufer von landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind.

  • Als Kleinstunternehmen ist ein Unternehmen definiert, das weniger als 10 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet.
  • Als Kleinunternehmen ist ein Unternehmen definiert, das weniger als 50 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt.

Nicht angemessen fände ich fakultative Ausnahmen für…

  1. landwirtschaftliche Erzeugnisse, die „saisonalen Angebots- oder Nachfrageschwankungen“: Diese Ausnahme könnte insbesondere Obst- und Gemüse betreffen. Dabei ist dieser Sektor besonders von unfairen Handelspraktiken betroffen und ohnehin stark unter Druck.
  2. landwirtschaftliche Erzeugnisse, die „die traditionellen oder üblichen Verkaufspraktiken“ unterliegen: Diese Verkaufspraktiken sind nicht definiert. Ohne klare Definition und Begrenzung stellen sie in dieser Form ein wesentliches Schlupfloch dar.

Vorgesehen ist ebenso eine Revisionsklausel bei Verträgen mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten, insbesondere in Fällen, in denen der Preis die Produktionskosten nicht mehr deckt. Landwirt*innen könnten dann eine Vertragsänderung erwirken und den Vertrag kündigen, falls keine Einigung über eine Änderung erzielt werden kann. Eine solche Öffnungsklausel, die ein Abweichen von vertraglich vereinbarten Regelungen grundsätzlich möglich macht, stammt regulär aus dem Vertragsrecht. Die Sorge, dass Abnehmer*innen auf Märkte außerhalb der EU ausweichen oder dass gar die Erzeugerpreise darunter leiden könnten, sehe ich nicht.

Die Landwirt*innen und ihre Organisationen werden diese Klausel sicherlich mit Bedacht einsetzen und nicht einen wichtigen Vertrag ohne Not kündigen, erst recht nicht, wenn es keine bessere Alternative gibt. Auf der anderen Seite können die marktmächtigen Abnehmer*innen schon heute einfach die Vertragskonditionen ändern, die Erzeugerpreise senken oder mit Auslistung drohen. Mir wurde berichtet, dass im Lebensmittelhandel Konditionen und Preise – also die wichtigsten Vereinbarungen – nicht in Verträgen, sondern im Jahresprotokoll festgehalten werden. Wenn es zu Streitfällen kommt, wird es schwierig für den Lieferanten. Ein schriftlicher Vertrag mit Revisionsklausel stärkt also die Verhandlungsposition von Landwirt*innen in einem Marktumfeld, das nach wie vor von großen Abhängigkeiten und ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist.

Was passiert bei Nichteinhaltung der Anforderungen?


Die Kommission sieht einen Mediationsmechanismus vor. Dieser ist grundsätzlich zu begrüßen. Er sollte allerdings nicht privatrechtlich organisiert sein, weil sich ein solcher in der Praxis nicht bewährt hat. Sinnvoll wäre, diesen Mechanismus bei den Durchführungsbehörden der EU-Richtlinie zu unlauteren Handelspraktiken anzusiedeln. Zu überlegen wäre ebenso eine Ergänzung, wie sie im Referentenentwurf zur Änderung der Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Verordnung vom 29.11.2024 zur „Nichteinhaltung der Anforderungen an Rohmilchverträge“ enthalten war. Es ist besser, Regeln im Falle einer Nichteinhaltung festzulegen, um das Auftreten potenzieller Streitfälle zu begrenzen.


Privilegierte Erzeugerorganisationen oder Genossenschaften?

Kollektive Rechtsträger können Erzeugerorganisationen, Vereinigungen von Erzeugerorganisationen, Branchenverbände oder landwirtschaftliche Genossenschaften sein. Für landwirtschaftliche Ausnahmetatbestände im Kartellrecht wird mitunter der Begriff „Genossenschaftsprivileg“ verwendet. Diese Bezeichnung sei jedoch irreführend, so das Bundeskartellamt. Die landwirtschaftlichen Ausnahmetatbestände knüpften nämlich nicht an die Rechtsform eines Unternehmens an, sondern stellten eine branchenbezogene Privilegierung dar, die auch Unternehmen in anderer Rechtsform zugutekäme.

Kartellrechtliche Sonderregeln gibt es bislang nur für Erzeuger*innen (Artikel 209) und für anerkannte Erzeugerorganisationen (Artikel 152 ff). Sie dürfen im Rahmen der Vermarktung der Erzeugnisse ihrer Mitglieder auch Preise für diese aushandeln. Wer in Deutschland anerkannt ist, lässt sich bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft & Ernährung (BLE) einsehen. Große Genossenschaften wie die DMK, Arla oder Westfleisch sind keine anerkannten Erzeugerorganisationen. Die Kommission will nun jedoch die kartellrechtliche Sonderregel auf nicht anerkannte Erzeugerorganisationen einschließlich Genossenschaften ausweiten. Damit würde die Privilegierung der anerkannten Erzeugerorganisationen entwertet. Zu begrüßen ist hingegen, dass anerkannte Vereinigungen von Erzeugerorganisationen Verträge für landwirtschaftliche Erzeugnisse verhandeln können, die eine Menge von bis zu 33% der gesamten nationalen Erzeugung ausmachen kann. Dies gilt für jegliche Produkte, die im Anhang I aufgelistet sind. Diese Regel sollte grundsätzlich auch für einzelne Erzeugerorganisationen gelten (siehe Artikel 149 GMO).

Ein Genossenschaftsprivileg besteht bereits jetzt, wenn Mitgliedsstaaten schriftliche Verträge festschreiben wollen. Voraussetzung für eine Ausnahme ist, dass die Satzung der Genossenschaft oder die darin vorgesehenen Regeln eine „ähnliche Wirkung“ erzielen. Dies hat der Europäische Gerichtshof auch in einem Urteil vom 13. November 2019 (C-2/18) bestätigt. Das heißt, die von der Kommission vorgeschlagene Vertragspflicht gilt nur Erzeuger*innen, die ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse (außer Zucker) selbst vermarkten oder in einer Erzeugerorganisation oder einer Vereinigung von Erzeugerorganisationen organisiert sind. All jene, die Mitglieder von Genossenschaften sind, können weiterhin nicht davon profitieren. Dies ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. Inakzeptabel ist ebenso, dass die Molkereien den Auszahlungs­preis weiterhin erst nachträglich festsetzen können.

Gleichbehandlung von Genossenschaften?

Probleme, die nicht alleine zu lösen sind, lassen sich in einer Genossenschaft gemeinsam anpacken, Kräfte können gebündelt werden. Genossenschaften und Erzeugerorganisationen spielen eine sehr wichtige Rolle in ländlichen Räumen. Leider haben sich einige Genossenschaften im Agrar- und Ernährungssektor zu konzernähnlichen Unternehmen oder straff geführten Konzernen entwickelt. Konzern-Genossenschaften sollten nicht dieselben Privilegien wie anerkannte Erzeugerorganisationen oder kleine Genossenschaften genießen dürfen. Die Kommission will im Rahmen des Wettbewerbskompasses ohnehin eine neue Unternehmensklasse einführen: das kleine Mittelstandsunternehmen. Dieser Prozess böte die Chance, auch Genossenschaften zu differenzieren.

In den USA ist eine ähnliche Entwicklung wie in der EU und in Deutschland zu beobachten. In ihrer Studie „Redeeming the Democratic Promise of Agricultural Cooperatives“ stellt das „Open Markets Institute“ die entscheidende Frage: Wie können wir sicherstellen, dass sich Landwirt*innen, insbesondere bäuerliche, überwiegend auf Familienarbeit beruhende landwirtschaftliche Betriebe in Genossenschaften zusammen­schließen können, um ihre Macht gegen Oligo- und Monopole zu stärken, ohne dass die Genossenschaften selbst zu solchen marktmächtigen Konzernen werden? Die Antwort ist auch für Arbeiter*innen von entscheidender Bedeutung. Einiges spricht dafür, dass eine Kombination aus einer Re-Orientierung des Kartellrechts auf die Abwehr von Marktkonzentration und eine Reform der Governance-Strukturen von Genossenschaften sinnvoll sind.


Soziale Nachhaltigkeit in Nachhaltigkeitskooperationen

Am 8.12.2023 hat die EU-Kommission ihre Leitlinien zur kartellrechtlichen Ausnahme in Bezug auf Nachhaltigkeitsvereinbarungen für landwirtschaftliche Erzeuger*innen gemäß Artikel 210a veröffentlicht. Sie berücksichtigen leider nicht die soziale Nachhaltigkeit. Der Entwurf will nun dieses Defizit beheben. Nachhaltigkeitskooperationen sollen nun auch von einer kartellrechtlichen Ausnahme profitieren, wenn das Ziel ist, 1) die wirtschaftliche Tragfähigkeit kleiner, überwiegend auf Familienarbeit beruhender landwirtschaftlicher Betriebe zu fördern, 2) Junglandwirt*innen zu ermutigen oder zu unterstützen oder 3) die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der Landwirtschaft oder Verarbeitung zu verbessern.

Kleine Familienbetriebe mit einem „Standardoutput“ von höchstens 100 000 EUR können von der kartellrechtlichen Ausnahme profitieren. Der Standardoutput wird je Flächeneinheit bzw. je Tiereinheit aus erzeugter Menge mal zugehörigem „Ab-Hof-Preis“ als geldliche Bruttoleistung ermittelt. Eine kartellrechtliche Ausnahme nach Größenklasse zu definieren, erscheint mir jedoch nicht sinnvoll. Bislang sind kartellrechtliche Ausnahmen für die Landwirtschaft häufig als „generelle Bereichsausnahme“ definiert. Der Blick auf die Realität zeigt, dass sich diesbezüglich geäußerte Sorgen bislang als nicht berechtigt erweisen, zumal die kartellrechtlichen Ausnahmen kaum in Anspruch genommen werden. Das gilt beispielsweise für die generelle Erzeuger-Ausnahme (Artikel 209 GMO), für die mögliche Bündelung von Milch bis zu 33% der nationalen Erzeugung durch Erzeugerorganisationen (Artikel 149 GMO) oder für Nachhaltigkeitskooperationen (Artikel 210a GMO). Gemäß den Leitlinien der Kommission zum Artikel 210a ist zudem ohnehin eine Einzelfallprüfung vorgesehen. Wenn jedoch eine Konkretisierung gewünscht wird, wäre eine Beschränkung auf anerkannte Erzeugerorganisationen denkbar.

Die Erzeugerpreise müssten in Nachhaltigkeitskooperationen mindestens die Produktionskosten decken einschließlich der von Landwirt*innen, Familienmitgliedern oder abhängig Beschäftigten geleisteten Arbeit (siehe fair, gerecht). Eine Verbesserung der Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der Landwirtschaft oder Verarbeitung ist zu begrüßen, eine Konkretisierung wäre aber sinnvoll. Entscheidend ist die Zahlung eines existenzsichernden Lohnes als nicht verhandelbarer Bestandteil für abhängig Beschäftigte. Als Basis für die Berechnung sollte der Medianlohn für Lieferketten in Deutschland und in der EU gelten. Am 12. Juni 2024 hat Deutschland endlich das ILO-Übereinkommen Nr. 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft ratifiziert, das auch Mindestanforderungen enthält, die für Nachhaltigkeitskooperationen herangezogen werden können.

Schlussbemerkungen

Der Vorschlag der Kommission kann zu faireren Lieferbeziehungen beitragen. Er verdient als solches die Unterstützung der Mitgliedsstaaten, der Bundesländer und der Akteure in der Lebensmittelkette. Letztere sollten ihre eigenen Empfehlungen des strategischen Dialogs oder der Zukunftskommission Landwirtschaft ernst nehmen und die Vorschläge offensiv gegenüber der Politik vertreten. Die geäußerten Bedenken bzw. die Ablehnung von schriftlichen Verträgen oder Fairness-Bestimmungen – siehe Bundesrat vom 14.2.2025 – erinnern teilweise an die früheren Abwehrkämpfe zum Mindestlohn vor seiner Einführung. Dabei geht es hier nur um eine Vertragspflicht und nicht um staatlich festgelegte Mindestpreise. Wer für die Marktwirtschaft ist, kann nicht gegen schriftliche Verträge sein. Da sollte die Landwirtschaft keine Ausnahme bilden.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft empfiehlt,

…den in der GMO geschaffenen Rahmen zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Erzeuger*innnen zielgerichtet zu nutzen. Um die Planungssicherheit für Erzeuger:innen zu erhöhen, sollten verbindliche Lieferverträge mit konkreten Angaben über Menge, Qualität, Preis und Laufzeit des Vertrages umgesetzt werden. Bei Genossenschaften ist die Satzungsautonomie dabei unbedingt zu beachten, die auch die Vereinbarungen von Milchlieferordnungen umfasst. Die Entwicklung und mögliche Umsetzung von neuen Mechanismen und Instrumenten zur Stabilisierung der Märkte und Unterstützung der Erzeuger:innen sollte mit allen Beteiligten der jeweils betroffenen Wertschöpfungskette abgestimmt werden.

Der strategische Dialog empfiehlt:

„The European Commission and Member States should ensure free negotiations between parties based on the improved market transparency and respecting that all elements of contracts for the delivery of agricultural products shall be negotiated between the parties. It is of particular importance in this context to strongly encourage supply chain stakeholders to consider relevant data on production costs and prices when negotiating contracts for agricultural products. In contractual negotiations, the inclusion of provisions specifying the extra costs and benefits associated with higher environmental, labour or animal welfare standards should be promoted, as well as the inclusion in contracts of provisions for the opening up of negotiations in case of exceptional cost increase or changes in supply and demand. The use of tripartite contracts or dedicated supply chains, which reward farmers for the additional efforts and investments related to sustainability should be encouraged.“